Eine neue digitale Orgel für St. Dionysius – Teil 3: Klangabstrahlung
September 28, 2021- admin
- Mai 30, 2021
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Die Orgel als Instrument des Jahres 2021
Im Dezember 2020 wurde die Orgel von den Landesmusikräten in Deutschland zum „Instrument des Jahres“ gekürt. Seit 2008 wird jedes Jahr ein besonderes Instrument gewählt und für die kommenden 12 Monate wurde erstmalig ein Tasteninstrument auf das Podium gestellt. Mit diversen Veranstaltungen und Konzerten soll den Menschen der Orgelklang näher gebracht und die besondere Bedeutung der Orgelmusik vermittelt werden. Schon vor drei Jahren hatte die Unesco die Orgelmusik und den Orgelbau in Deutschland als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Neben dem kulturellen Auftrag der Orgeln ist es aber wichtig, die Orgel nicht nur als Solo-Instrument sondern insbesondere als Teil des Gottesdienstes und der liturgischen Aufgaben näher anzuschauen.
Vor mehr als 2.000 Jahren wurde das Instrument (wahrscheinlich) in Alexandria erfunden und gelangte über Byzanz nach Europa, wo es seit der Karolingischen Renaissance als Kulturgut bis in die Gegenwart weiterentwickelt wurde. Zu Beginn der kirchlichen Entwicklungen war die Orgel allerdings noch gar nicht präsent. Die frühzeitigen Orgeln waren vielmehr den Kaisern und Königen vorbehalten, die Instrumente waren auf mobilen Wägen aufgebaut, wurden zu Festen und auch zu Kriegsplätzen transportiert und versetzten die Zuhörer in bloßes Staunen. Erst im Laufe der letzten 600 Jahre hat sie sich einen integralen Platz in den westlichen Kirchen geschaffen, trug doch auch die Architektur der Kirchenräume mit ihrer besonderen Akustik dazu bei. Spätestens seit dem 17. Jahrhundert war die Orgel in vielen Kirchen gar nicht mehr wegzudenken. Seit dieser Zeit wurden und werden Orgeln vor allem aus Europa, wo mittlerweile die meisten Instrumente gebaut werden, weltweit in viele Länder exportiert. Dabei spielte Deutschland mit einer weit verbreiteten Orgelkultur eine gewichtige Rolle in der weiteren Entwicklung, zum Beispiel mit den berühmten Silbermann-Orgeln aus Sachsen oder Arp Schnittger Instrumenten in Norddeutschland. Im Gegensatz wurden z.B. in Frankreich zu dieser Zeit und speziell nach der Französischen Revolution 40 Jahre lang fast alle Orgeln aus ideologischen Gründen vernichtet, die wenig übrig gebliebenen Instrumente verwahrlosten in extrem schlechten Zustand. Dort bekamen die Instrumente erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts wieder die gebührende Aufmerksamkeit, nicht zuletzt durch Orgelbauer wie Cavaillé-Coll z.B. mit der Orgel in Notre Dame in Paris.
Bei all ihren musikalischen Möglichkeiten war und blieb die Orgel aber primär ein Instrument für den Gottesdienst. Orgelmusik war Teil der Liturgie und unterstützte die gemeinsame Feier zwischen Klerus und Gemeinde, sowohl im katholischen wie auch protestantischen Gottesdienst. Allerdings hatte die Musik bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts in der lutherischen Kirchen einen ausgeprägteren Stellenwert. Zum Beispiel zeigte sich das an den Liedstrophen, die „typische“ evangelische Kirchenlieder aus dieser Zeit aufweisen. 10 bis 12 Strophen, die auch gesungen wurden, waren keine Seltenheit, war doch der Liedtext nicht nur „Auffüllung“ des Gottesdienstes sondern trug inhaltlich beispielsweise zum gelesenen Evangelium bei. Auch das Eingangspräludium zu Beginn des Gottesdienstes dauerte oftmals 5 bis 8 Minuten, gut zu erkennen an den Bach’schen Orgelpräludien und Fugen, die oft zu den Gottesdienstfeiern gespielt wurden – das Präludium zu Beginn, die Fuge zum Abschluss. Dabei stellte das Eingangsstück nicht etwa nur eine musikalische Umrandung dar, sondern war im wahrsten Sinne des Wortes „der Beginn“ des Gottesdienstes und hatte damit auch den Auftrag, klanglich oder inhaltlich Lesungen, Evangelium oder Predigt angemessen vorzubereiten. Passend zu den Zeiten im Kirchenjahr spielten (und spielen auch heute noch) die Organisten also Choralvariationen von Liedern, die vielleicht später als Choral von der Gemeinde gesungen wurden. Oder ein Präludium war dunkel und mystisch, wenn die folgend zitierten Bibelstellen diesen „Ton“ beinhalteten. Zu Festtagen gab es besonders festliche (und laute) Orgelmusik, zu andächtigen Jahreszeiten (beispielsweise zum 4. Advent oder in der Passionszeit) eher ruhigere und getragenere Stücke. Es war auch gang und gäbe das Schlussstück sitzend anzuhören und erst danach den „Auszug“ aus der Kirche zu machen. Allerdings hing das wohl auch mit der Qualität der jeweiligen Organisten und Orgeln zusammen…
In der katholischen Kirche wurde mit dem 2. Vatikanischen Konzil und dem Sacrosanctum Consilium (1963) die Bedeutung der Kirchenmusik massgeblich verändert. War sie im Vorfeld formell eher Unterstützung und „Untermalung“, wurde sie nun integraler Bestandteil des liturgischen Gottesdienstes. Der dort verankerte neue Stellenwert der Kirchen- und Orgelmusik wurde unter anderem damit begründet, dass die Musik es vermag, „einen Text zu transportieren und ihn zugleich durch eigenständige musikalische Parameter zu kommentieren, mit Lautstärke, Rhythmus, Melodiebildung, Harmonisierung und Instrumentation Stimmungen zu schaffen, die eine eigene inhaltliche Aussage- und Deutungsebene darstellen.“ Dieses zeigt sich zum einen in der Kombination mit den liturgischen Gesängen, welche vom Pfarrer oder Kantor angestimmt und mit der Orgel begleitet werden, zum anderen beim Gemeindegesang, der entweder als eigenes liturgisches Element (Gloria, Agnus Dei, etc) oder als liturgische Antwort (Antwortpsalm mit Kehrvers, Halleluja, Präfation mit Sanctus) von allen gesungen werden kann. Darüber hinaus stehen natürlich die Gemeindelieder selbst. Das Gotteslob, in revidierter Ausgabe seit 2013, stellt alle wichtigen Liturgie- und Gemeindegesänge zusammen. Für die passende Auswahl der Gemeindelieder sowie der Orgelmusik ist (meist) der jeweilige Organist / die Organistin zuständig. In erster Linie soll diese Auswahl die tätige Teilnahme der Gläubigen erreichen. Umso wichtiger ist daher die „Verschmelzung“ zwischen der Gottesdienstmusik mit der liturgischen Handlung, also ein aufeinander abgestimmtes Musikkonzept und nicht nur einzelne Musikstücke, welches als notwendiges und integriertes Wesensbestandteil der feierlichen Liturgie verstanden wird.
Besondere Herausforderung stellt die aktuelle Covid-19 Einschränkung für den Gemeindegesang dar. Selbstverständliches muss durch neue liturgische Begleitung ersetzt werden. In diesem Sinne können aktuell Gemeindelieder nur von der Orgel und dabei oftmals als Choralvariationen gespielt, die zwar nicht den Text wortwörtlich, wohl aber den Gestus des „Gesangs und Inhaltes“ auf der Orgel widerspiegeln. Damit ist jedes Orgelstück im besten Falle eine inhaltliche gebundene Auswahl, die nicht der Musik wegen, sondern als liturgische Ergänzung gespielt wird.
Dabei wird die „Art“ der Kirchenmusik sehr weit gefasst und lässt alle Formen wahrer Kunst zu. Festliches zu Festtagen, Ermunterndes und Nachdenkliches passend zu den Inhalten des jeweiligen Gottesdienstes – und manchmal auch einfach nur etwas „Schönes“, was die Seele anspricht und auf den Gottesdienst vorbereitet. In welcher konkreten Art und Weise die Musik dieses aber erreicht, ist freilich Interpretationen unterlegen. So werden barocke, romantische oder moderne Kompositionen herangezogen, deutsche, französische oder angelsächsische Komponisten ausgewählt, manchmal gepaart mit Improvisationen des Musikers, immer aber mit der Intention, dem Gottesdienst zu dienen. Letzten Endes gilt, was schon Johann Sebastian Bach bei einigen seiner Werke vermerkt hat: „Soli Deo Gloria“, Gott zur Ehre – und damit auch zur Freude des Menschen.
Stephan Paxmann